Berufsbild, Anforderungen und Aufgaben

Berufsbild Heil- und Erziehungspflege

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Durch die HEP-Ausbildung wirst du zur Fachkraft für Teilhabe, Bildung und Pflege. Zu den Aufgaben des Heilerziehungspflegenden gehört es, Menschen mit Assistenzbedarf zu unterstützen, ihr Leben ihren eigenen Vorstellungen nach in möglichst hoher Lebensqualität führen zu können. Dabei stehen die Selbstbestimmung, das Individuum und der Mensch bei uns immer im Mittelpunkt. Zu den konkreten Aspekten des Berufsbildes gehören:

  • die Assistenz
  • die Begleitung
  • die Beratung
  • die Bildung
  • die Pflege

von Menschen mit physischen, psychischen und kognitiven Einschränkungen.

In folgenden Handlungsfeldern werden Heilerziehungspfleger tätig:

  • Prozesse der Unterstützung und qualifizierten Assistenz
  • Entwicklung, Bildung und Pflege
  • Kommunikation und Beziehung
  • Sozialraum und Netzwerke
  • Team und Organisation

Wir legen bei unserer Arbeit Wert auf eine ganzheitliche Verzahnung der einzelnen Lebensbereiche Teilhabe, Bildung und Pflege. Der Mensch steht bei uns immer im Mittelpunkt. Das bedeutet für unsere Arbeit, dass wir stets versuchen, die individuellen Vorstellungen des Menschen, den wir begleiten, in den Fokus unseres Handelns und unserer Entscheidungen zu stellen. Wir gehen sozial- und teilhabeorientiert vor, dass heißt, wir nehmen auch das soziale Umfeld in den Blick und ermöglichen Teilhabe und begleiten wo immer nötig bei der Bewältigung des Alltages.

Anforderungen und Aufgaben

Abhängigkeiten und Zwänge

Menschen, die eine Dienstleistung in Anspruch nehmen, begeben sich dabei mehr oder weniger in Abhängigkeit. Sei es von der (personellen bzw. zeitlichen) Verfügbarkeit der Dienstleister, dem dort vorhandenen Angebot, der jeweiligen Kompetenz oder Freundlichkeit usw. Auch Zwangsgemeinschaften entstehen immer wieder, sei es das Kollegium am Arbeitsplatz oder die Mitbewohnenden im Studentenwohnheim. Selbstbestimmungsmöglichkeiten und Transparenz sowie die Gewissheit, bei Missfallen den Dienstleister wechseln oder die Zwangsgemeinschaft verlassen zu können, reduzieren das Gefühl der eigenen Abhängigkeit deutlich. Dies ist jedoch stark abhängig vom Umfang sowie von der Art und Weise des Hilfebedarfs. Außerdem spielt die eigene Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit eine Rolle, also die Fähigkeit, Alternativen und deren Konsequenzen zu verstehen und abwägen zu können. Die Menschen, die unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen und uns direkt oder indirekt – mittelbar oder unmittelbar – für eine Unterstützung engagieren, befinden sich meist in einer ungleich höheren Abhängigkeit und haben oftmals weitaus geringere Möglichkeiten, den Dienstleister zu wechseln oder die Zwangsgemeinschaft zu verlassen. Beispielsweise sind sie abhängig vom gerade verfügbaren Betreuungspersonal (Anzahl, Zeitplanung, Kompetenzen, Feingefühl und Laune), außerdem von Normen und Werten (z. B. dem Umgang mit Sexualität), von Hygienevorschriften, Leistungsvereinbarungen, Rahmenbedingungen der Sozialhilfe und vielem mehr. Deshalb muss es das Ziel unserer Arbeit sein, Selbstbestimmungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume zu bewahren oder zu schaffen, ohne den Betroffenen dadurch zu überfordern. Beispielsweise durch die Möglichkeit, einige Kleidungsstücke
zur Auswahl anzubieten oder dem Klienten die Entscheidung zu überlassen, welcher der anwesenden Betreuer die Assistenz bei der Morgenpflege übernehmen soll.

 

Anforderungen an professionelle Kommunikation und Haltung

Wir möchten nicht nur respektvoll mit, sondern auch über Menschen mit Assistenzbedarf zu sprechen. Dazu sind wir übrigens auch verpflichtet! Im fachlichen Diskurs werden beim Versuch, sich präzise und wertschätzend auszudrücken, immer wieder Begriffe für überholt erklärt und durch neue ersetzt. Einige von ihnen sind bereits in die Alltagssprache aufgenommen worden. Beispielhaft ist der Wandel vom „Idioten“ zum „Behinderten“, dann zum „behinderten Menschen“ und weiter zum „Menschen mit Behinderung“ bzw. zum Menschen mit Assistenzbedarf“. Es ist wichtig, anzuregen, dass Denkweisen und Bewertungen immer wieder überarbeitet und überholt werden. Bei der Sprache sollten Fähigkeiten und Gemeinsamkeiten in den Fokus gestellt werden, statt der Defizite und Unterschiede.
Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass auch diese Wortneuschöpfungen durch einen abwertenden Gebrauch eine abwertende Bedeutung erhalten. So sei es deshalb gleichgültig, wie eine Gruppe bezeichnet wird – das negative Bild wird auf den Begriff übertragen und nicht umgekehrt. Darüber hinaus erschwert jeder neue Begriff das Verstehen von Sprache für Menschen, die nur wenig Berührung mit dem Thema bzw. dem fachlichen Diskurs haben – nicht zuletzt auch für die Betroffenen selbst.
Im Bemühen, Sprache für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung verständlicher zu formulieren, wurden Regeln für Leichte Sprache entwickelt, die sowohl in alltäglichen Gesprächen, aber auch in Texten von Aushängen, Flyern, Vertragswerken usw. eingesetzt werden können. Die Forderung lautet: Jeder soll alles verstehen können. Doch nicht nur der (sachliche) Inhalt einer verbalen Mitteilung ist aus professioneller Sicht bedeutsam, sondern auch das, was durch Gestik und Mimik, aber auch die Lautstärke, Tempo, Tonfall usw. transportiert wird bzw. beim Gegenüber ausgelöst wird. „Der Ton macht die Musik“, es sollte stets Wertschätzung mitschwingen – auch pädagogisch notwendige kritische Hinweise können auf eine Art und Weise formuliert werden, die gleichzeitig respektvoll ist. Menschen, die gehörlos sind, bedienen sich häufig der Gebärdensprache, nutzen aber auch für jedermann verständliche Gesten und Symbole oder kommunizieren – wenn möglich – über geschriebene Worte. Für nicht schriftliche Kommunikation, die über einfache und alltägliche Mitteilungen hinausgeht, sind die Betroffenen jedoch auf einen Partner angewiesen, der die Gebärden versteht. Sind sowohl verbale Sprache als auch Gebärden oder andere deutliche Signale aufgrund einer schweren intellektuellen Beeinträchtigung nicht möglich, gilt es, Lautäußerungen zu deuten, Mimik und Gestik zu beobachten bzw. Aktionen und Reaktionen als Ausdrucksweise zu verstehen. Kontakt kann hier über Berührungen und andere Möglichkeiten basaler Kommunikation aufgebaut werden. Die Reflexion der eigenen sprachlichen bzw. kommunikativen Gewohnheiten und Grenzen sowie die (Weiter-) Entwicklung entsprechender Kompetenzen sind sehr wichtige Aspekte in der Ausbildung zum Heilerziehungspfleger.
(Siehe auch: Kodex-Regeln 2 „Wir schützen die Privatsphäre“, 3 „Wir reden offen und einfühlsam“ und 9 „Freundlich“)

 

Angehörigenarbeit

Immer wieder stehen wir vor der Herausforderung, zum Wohl der von uns betreuten Klientinnen und Klienten Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen zu initiieren. Doch nicht immer ist für die Angehörigen leicht nachvollziehbar, mit welcher Intention und Absicht einzelne Entscheidungen getroffen wurden. Schnell entwickeln sich daraus Meinungsverschiedenheiten, die einer konstruktiven Zusammenarbeit von professionellen Begleitern und Angehörigen entgegenwirken. Wichtig ist, mit Erwartungen von Angehörigen differenziert umzugehen, eigene Erwartungen an Angehörige zu formulieren und deren Erfüllung mitzugestalten. Jeder Mitarbeitende sollte Möglichkeiten kennen, Angehörige in die Arbeit einzubeziehen und Meinungsverschiedenheiten und Konflikte mit Angehörigen im Gespräch konstruktiv zu lösen. Hierzu liegt eine Handreichung vor, die das Spannungsfeld der Angehörigenarbeit sehr praxisnah beleuchtet und Handlungsmöglichkeiten zur Konfliktvermeidung und -bewältigung aufzeigt.
(Siehe: Arbeit mit Angehörigen – Eine Handreichung für Mitarbeitende. Hinweise, Tipps und Anleitungen für Gespräche mit Angehörigen)

 

Arbeiten im Team

Unsere Leistungen, oder auch Dienstleistungen, entstehen im Miteinander – immer als Ergebnis einer Zusammenarbeit im Team. Das Team besteht aus meist sehr unterschiedlichen Mitarbeitenden verschiedener Fachrichtungen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen. Für eine gelungene Zusammenarbeit ist es deswegen erforderlich, wichtige Informationen zeitnah und vollständig weiterzugeben, über Ziele und Maßnahmen Einigkeit herzustellen, Verantwortung für die eigenen Aufgaben und die des ganzen Teams zu übernehmen, sich gegenseitig konstruktiv Rückmeldungen zu geben (Kritik und Lob) und auf mögliche Fehlerquellen aufmerksam zu machen.

Als Auszubildende oder Auszubildender wirst du als Teil des Teams verstanden. Du bringst dich mit deinen Fragen, neuen Ideen und Impulsen ein und übernimmst schrittweise Aufgaben und Verantwortung. Der Praxisanleiter fungiert dabei als dein Mentor.

 

Bezugsbetreuung und Bezugspersonensystem

Jeder Klientin und jedem Klienten wird eine Bezugsperson an die Seite gestellt, die sie oder ihn während der Nutzung der ambulanten oder stationären Wohnhilfen oder der tagesstrukturierenden Hilfen begleitet und zu der sie oder er eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen kann. Die Bezugsperson ist umfassend über die Klientin oder den Klienten informiert und ist für sie fallverantwortlich, alle Fäden laufen bei ihr zusammen. Sie sorgt für eine besondere Beachtung der Rechte der Klientin oder des Klienten und versteht sich als ihr oder sein Fürsprecher gegenüber den anderen Klientinnen und Klienten und den Mitarbeitenden und ist Ansprechpartnerin für die Angehörigen, die gesetzlichen Betreuenden und andere Berufsgruppen.
Die Aufgaben sind z. B. Erstellung der individuellen Hilfeplanung, Begleitung bei Begutachtungen, Kontakt zu den Werkstätten, Planung des Geburtstages oder der Freizeit.
So bezeichnen wir Mitarbeitende in den einzelnen Bereichen:
•    Im ambulanten Bereich sprechen wir von "Bezugsperson" oder "fallverantwortlichem Mitarbeitenden"
•    In stationären Wohnhilfen sprechen wir von "Bezugsperson"
•    Bei tagesstrukturierenden Hilfen sprechen wir von "WuB-Begleiter"

 

Biografie-Arbeit

Die Begleitung der Menschen, die sich uns anvertrauen, beginnt nicht an einem Nullpunkt, sondern schließt an eine Entwicklung an und sollte Erfahrungen, familiäre Prägungen sowie biografische Wendepunkte berücksichtigen – das nennen wir Biografie-Arbeit. Wichtig ist also auch, in der Bezugspersonenarbeit wichtige Ereignisse der Vergangenheit zu erforschen. Zum Beispiel: Geburt und frühe Kindheit, schulischer Werdegang, Adoleszenz und Ausbildung, Erwachsensein und Arbeitsleben. Darüber hinaus hat die Biografie-Arbeit immer auch einen aufmerksamen Blick auf aktuelle Geschehnisse und deren mögliche Bedeutsamkeit für den künftigen Lebensweg.

Deeskalationsmanagement

In einer Betreuungssituation kann es aus vielen Gründen zu emotionalen Spannungszuständen bei den Menschen, die sich uns anvertrauen, und auch den Mitarbeitenden und dir selbst kommen. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Zum Beispiel:
• individuelle Entwicklungsprozesse
• struktureller Rahmenbedingungen
• Erwartungsdruck
• Frustrationen
Dieser Druck kann sich bei Klientinnen und Klienten in aggressiven oder herausfordernden Verhaltensweisen äußern. Das Deeskalationsmanagement hilft dabei, die Sichtweise und den Umgang mit diesen Verhaltensäußerungen zu verändern und die häufige Verkettung und lineare Beschreitung der Eskalationskette bis hin zur Gewaltanwendung zu verhindern. Derartige Vorfälle werden in einer eigenen Kategorie dokumentiert, ausgewertet und nachbearbeitet. Das Thema wird in den Teamsitzungen und Fallbesprechungen anlassbezogen behandelt. In Verbindung mit den Arbeitsschutzkonzepten werden die in den Bereichen festgestellten Risiken in regelmäßigen Abständen analysiert und entsprechende Maßnahmen eingeleitet.
In jeder Organisationseinheit arbeiten Deeskalationstrainer, die von einem externen Unternehmen nach ProDeMa (Institut für Professionelles Deeskalationsmanagement) ausgebildet sind und die flächendeckend die Mitarbeitenden zunächst in einer Grundausbildung und dann in einer jährlichen Auffrischung schulen. Die Erfahrungen aus den oben genannten Nachbearbeitungen werden reflektiert und in die Schulungen integriert.
Die Bereiche St. Vitus, Heilpädagogische Tagesförderung Flora und die Wohngruppen im HPZ des Haus Barbara (Gr. Antonius, Gr. Florian, Gr. Lioba und Gr. Martinus) stellen die Mitarbeitenden in besonderem Maße vor die Herausforderung, gut strukturiert, klar und verlässlich in Kontakt zu treten, geschlossen als Team zu handeln und auf die individuellen Bedürfnisse angepasste Betreuungskonzepte zu erarbeiten und umzusetzen.

 

Die Deeskalationsstufen nach ProDeMa:

  • Stufe I: Verhindern der Entstehung von Gewalt und Aggression (Rahmenbedingungen, institutionelle Strukturen, Beseitigen von struktureller Gewalt)
  • Stufe II: Veränderung der Bewertung aggressiver Verhaltensweisen (Wie wird Verhalten erlebt und bewertet? Welche Emotionen stellen sich beim Begleiter ein? Wie reagiert er darauf?)
  • Stufe III: Verständnis der Ursachen und Beweggründe (herausforderndes Verhalten betrachten als Kontaktversuch, als Lösungsweg, zur Kompensation, als subjektiv sinnvoll usw.)
  • Stufe IV: verbale Deeskalationstechniken
  1.     Kontaktaufnahme
  2.     Spiegeln und Rückmelden als Signal von Hilfe und Verstehen
  3.     Konkretisierungsfragen als Informationssammlung und tieferes Verstehen
  4.     gemeinsame Lösungssuche und Aufzeigen von Möglichkeiten
  • Stufe V: verletzungsfreie Abwehr- und Fluchttechniken
  • Stufe VI: verletzungsfreie Halte- und Fixierungstechniken
  • Stufe VII: Nachbereitung von Vorfällen, kollegiale Ersthilfe und Nachsorge

 

 

Ethische Problemstellungen

In der Begleitung von Menschen mit Assistenzbedarf und schweren Erkrankungen bestehen häufig komplexe Problemstellungen, die oft auch ethische Gesichtspunkte berühren oder aus widerstreitenden Wertvorstellungen der beteiligten Personen entstehen. Zum Beispiel dann, wenn:
•    in der Hilfeplanung zwischen den Prinzipien Autonomie und Fürsorge abgewägt werden muss,
•    selbstbestimmtes Handeln, negative Folgen für die Gesundheit hat oder
•    Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge, Einschränkungen der Autonomie nach sich ziehen.
Diese Problemstellungen können nicht abschließend und allgemeingültig beantwortet werden, zudem sollten Entscheidungen hierzu nicht von Einzelpersonen getroffen werden. Diese Probleme fordern immer wieder eine Auseinandersetzung und Abwägung des Einzelfalls gemeinsam mit allen Beteiligten. Hilfreich kann hierbei die Kontaktaufnahme mit dem Ethikkomitee der St. Augustinus Gruppe sein, das Handreichungen und Fortbildungen zu ethischen Themenbereichen sowie die Einberufung der sogenannten ethischen Problembearbeitung anbietet (Im Intranet zu finden).

 

Nähe und Distanz

Menschen, die sich uns anvertrauen, haben vielfach Probleme, eine angemessene Balance zwischen Nähe und Distanz zu erkennen, herzustellen oder einzuhalten. Auch die Kenntnis und Akzeptanz sozialer Regeln und Grenzen spielt hierbei eine Rolle. Umso mehr ist es die Aufgabe der professionellen Begleiter, feinfühlig darauf zu achten, entsprechende Rückmeldungen zu geben und Hilfen anzubieten. Dies betrifft am deutlichsten die physische Dimension, also Körperkontakte und Berührungen, aber beispielsweise auch den Abstand in einer Gesprächssituation oder auch das Vermeiden oder Begrenzen von Kontakten. Doch auch die professionelle Beziehungsarbeit, ohne die eine beratende oder fördernde Einflussnahme unmöglich wäre, fordert den Mitarbeitenden, die Balance zwischen Nähe und Distanz zu bewahren oder herzustellen.
Vor allem in einem Umfeld, in dem familienähnliche Strukturen bestehen oder bei einer langjährigen Begleitung oder bei persönlicher Sympathie oder Antipathie kann es passieren, dass die emotionale Bindung und Betroffenheit an Stärke gewinnen und die jeweiligen Rollen verschwimmen. Im Hinblick auf die eigene Selbstfürsorge, wenn beispielsweise aus dem Mitgefühl ein Mitleiden zu werden droht, aber auch zur Vorbeugung übergriffiger Betreuung – wenn der Begleiter sich zum Kumpel oder zur Mutterfigur gewandelt hat – spielt die Wahrung innerer und äußerer Nähe und Distanz eine wichtige Rolle. Wichtig ist im Berufsalltag – sei es bei der Gestaltung von Berührungen oder beispielsweise in intimen Gesprächssituationen – stets darauf zu achten, dass es diesbezüglich sowohl auf Seiten der Begleiter als auch für die Klientin oder den Klienten nicht zu Unwohlsein, unangemessenen Erwartungen oder Vorbehalten und Ängsten kommt. Falls dies trotz der Berücksichtigung eines ausbalancierten Nähe- und Distanzverhaltens dennoch eintritt, ist eine offene und ehrliche Kommunikation zwischen den Beteiligten als auch eine Aufarbeitung der Situation oder der Vorgänge unerlässlich.
(Siehe auch: Institutionelles Konzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Kodex-Regeln 1 „Wir unterstützen die Eigenständigkeit“ und 8 „Wir kümmern uns“)

 

Öffentlichkeitsarbeit und Gemeindeinklusion

Menschen mit Assistenzbedarf – besonders jene mit psychischen Beeinträchtigungen – standen in der Vergangenheit oft am Rande der Gesellschaft. Umso mehr ist es heute unsere Aufgabe, das Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft umzusetzen, wie es beispielsweise in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben wird. Dies geschieht nicht nur durch die Unterstützung, Begleitung und Förderung der Betroffenen z. B. bei einem Spaziergang durch die Innenstadt, einem Kinobesuch oder der Teilnahme an einem Sportfest, sondern auch durch Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und Gemeindeinklusion.
So ist die Teilnahme der Behindertenhilfe am Karnevalsumzug mit einem eigenen Wagen neben einer Freizeitaktivität für die Teilnehmenden auch eine Maßnahme, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, Begegnungen zwischen unterschiedlichen Menschen zu fördern und Öffentlichkeit für unsere Arbeit herzustellen.
Ein weiteres Beispiel ist das Stadtteilfest im Meertal, das die umliegenden Einrichtungen der St. Augustinus Gruppe gemeinsam mit der Nachbarschaftsinitiative „Casa Meertal“ zur Pflege der nachbarschaftlichen Beziehungen jedes Jahr im Sommer gemeinsam organisieren. Auch der Kontakt zu den Kirchengemeinden stellt einen wichtigen Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit und Gemeindeinklusion dar. Hier wird der Auftrag aller Mitarbeitenden deutlich, die Menschen, die sich uns anvertrauen, in ihren religiösen Bedarfen zu begleiten und vertrauensvoll mit den entsprechenden Seelsorgern zusammenzuarbeiten. So werden Gottesdienste und Kirchenfeste der jeweiligen Gemeinden besucht oder sie werden zu Feierlichkeiten oder Gottesdiensten in die Häuser eingeladen. Ein besonderes Beispiel stellt das traditionelle Krippenspiel der Behindertenhilfe dar, das bereits seit vielen Jahren stattfindet und in der Gemeinde regen Anklang findet.

 

Privatsphäre

Die Privatsphäre von Menschen mit Assistenzbedarf ist oft gefährdet. Vor allem bei der Pflege, aber auch im Wohnalltag. Deswegen ist es die Aufgabe aller Mitarbeitenden, die Privatsphäre aller einfühlsam zu schützen. Dafür ist ein Gespür für private Situationen und Momente nötig. Dazu gehört u. a. auch nicht unnötig und gedankenlos über Klientinnen und Klienten, sondern mit ihnen zu reden. Intim- und Privatsphäre berührende Betreuungsleistungen finden im privaten bzw. einem hierfür geeigneten Rahmen statt, ebenso wie z. B. Krisen- und Konfliktgespräche oder auch die tägliche Pflege. Auch das Betreten des Zimmers stellt einen Eingriff dar und darf nur nach vorheriger Ankündigung (z. B. anklopfen) und nach entsprechender Erlaubnis des Betroffenen erfolgen. Partnerschaft und Sexualität stellen an den Schutz der Privatsphäre besondere Anforderungen und bedürfen besonders sensibler Begleitung und der Möglichkeit, ungestört sein zu können. Auch die Verlaufs- und Maßnahmendokumentation durch die Mitarbeitenden berühren Aspekte des Datenschutzes, der Intimsphäre und der Vertraulichkeit, sodass hier besonders sensibel auf den Umfang der Einträge und eine angemessene Formulierung geachtet werden muss. Klarnamen von beteiligten Dritten sind zu vermeiden. Informationen, die vertraulich an uns gerichtet werden, oder intime Details, z. B. die Sexualität betreffend, sollten nur so weit dokumentiert werden, wie sie für die Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen oder zur Darstellung der aktuellen Lebensumstände der Bewohnerin oder des Bewohners notwendig sind.
(Siehe auch: Institutionelles Konzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Kodex Regel 2 „Wir schützen die Privatsphäre“. Darüber hinaus: Abschnitte „Datenschutz“ und „Umgang mit sozialen Netzwerken“ im vorliegenden Dokument)

 

 

Refinanzierung

Unsere Begleitung der Menschen, die sich uns anvertrauen, richtet sich immer an Teilhabemöglichkeiten, dem Wohlbefinden und den Bedürfnissen und Wünschen des Betroffenen aus. Sie muss neben gesellschaftlichen, pädagogischen, ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen immer auch Aspekte der Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit berücksichtigen. Neben effizienter und effektiver Arbeit und Vorgehensweise dürfen die Fachkräfte deshalb nicht außer Acht lassen, dass unsere Hilfen als Leistungen formuliert und vom jeweiligen Kostenträger bewilligt werden müssen, bevor diese refinanziert werden können.
Vor allem angesichts geänderter gesetzlicher Bestimmungen und Regelungen zur Finanzierung von Hilfen wird von Heilerziehungspflegerinnen und -pflegern neben dem Blick für Bedürfnisse und Fördermöglichkeiten der Klientinnen und Klienten zunehmend erwartet werden, diese wirtschaftlich-organisatorischen Aspekte ebenfalls zu beachten. In diesem Zusammenhang erfüllt die Dokumentation die wichtige Aufgabe, nicht nur beobachtbares Verhalten zu beschreiben und festzuhalten, sondern die eigene Leistung hervorzuheben bzw. gegenüber dem Kostenträger prüfbar zu machen.

 

Regeln des Zusammenlebens

In den Wohnhäusern der Behindertenhilfe leben Menschen zusammen in einer Hausgemeinschaft. In dieser Gemeinschaft bringt jede und jeder eigene Erfahrungen und individuelles Verständnis für schwierige Lebenssituationen, Krankheit, Wohlbefinden und andere Besonderheiten mit. Im Haus gelten grundsätzlich alle Regeln und Gesetze, die auch im Zusammenleben und -wohnen im Alltag gelten. Zusätzlich gelten – bedingt durch die Besonderheiten eines Wohnhauses – Regeln des Zusammenlebens, die mit dem Beirat und unter Einbezug aller Klientinnen und Klienten erstellt worden sind. Die professionellen Begleitenden haben im Alltag immer wieder die Aufgabe, an diese Regeln zu erinnern bzw. die Klientinnen und Klienten zu beraten und zu motivieren, diese zu beachten.
Sie beinhalten Vereinbarungen:
•    zum Wohnraum und gemeinsam genutzten Räumen
•    zum Umweltschutz
•    Umgang mit Schlüsseln, Hygiene, Abwesenheiten, Alkohol und Drogen, Rauchen, Brandschutz und Sicherheit, Gewalt, Hausruhe, Privatsphäre
•    zum Hausrecht der Mitarbeitenden

 

Risiken im Berufsalltag

Wer im Berufsalltag das Wohlbefinden und die Sicherheit der ihm anvertrauten Menschen im Blick hat, muss auch auf sich selbst achten und aufpassen. Vorbeugende Maßnahmen der Arbeitssicherheit sowie klare Verfahrensanweisungen zum Umgang mit Unfällen und Verletzungen verringern die Risiken und ihre Folgen. Die Tätigkeit und Aufgaben eines Heilerziehungspflegers bringen Gefahren mit sich, die sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nie gänzlich ausschließen lassen. In der Behindertenhilfe liegen für alle Bereiche Gefährdungsbeurteilungen vor, die laufend aktualisiert werden. Die Beauftragten für Arbeitssicherheit erarbeiten gemeinsam mit den Leitungskräften und den Teams vor Ort Maßnahmen zur Gefahrenreduzierung. Darüber hinaus muss jede und jeder einzelne Mitarbeitende durch eigenes Verhalten und die eigene Haltung dazu beitragen, dass Unfälle, Verletzungen und Belastungen vermieden oder deren Folgen verringert werden.
Solche Risiken sind beispielsweise:
•    alltägliche Haushaltsgefahren (z. B. Verletzungen durch Umgang mit Küchenwerkzeugen)
•    psychische Belastung (z. B. durch ungewöhnliche Verhaltensweisen der Klienten)
•    körperliche Verletzung und Belastung (z. B. Hautirritation durch Desinfektions- und Reinigungsmittel und unsachgemäße Hautpflege)

 

Skala der Emotionalen Entwicklung und Diagnostik (SEED)

Die Skala der Emotionalen Entwicklung und Diagnostik greift entwicklungspsychologische Erkenntnisse auf und versucht das emotionale Lebensalter eines Menschen zu erfassen, um Bedürfnisse und Kompetenzen besser einschätzen zu können. Dies kann helfen, Überforderung zu vermeiden und Verhaltensweisen vorzubeugen, die als herausfordernd oder dysfunktional angesehen werden können. Ziel ist ein tieferes Verständnis der Person und mögliche Auslöser von Stress und Anspannung, die auch als Folgen unerfüllter Bedürfnisse oder Überforderung verstanden werden können – weil die oder der Betroffene als Erwachsene oder Erwachsener behandelt wird, aber erwartete Kompetenzen (noch) nicht entwickelt hat oder deutliche Schwierigkeiten in deren Anwendung zeigt.
Die Ziele Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Teilhabe (meist alleine am Vorbild eines Erwachsenen ausgerichtet), werden somit entwicklungsgemäß betrachtet und um kindliche Aspekte erweitert. Das pädagogische Vorgehen lässt sich an das emotionale Entwicklungsalter anpassen: Erwartungen und Anforderungen werden reduziert und besondere Bedürfnisse berücksichtigt – z. B. in der Beziehungsgestaltung, beim Körperkontakt oder im Umgang mit Regeln und Konsequenzen (Regeln vorgeben oder vereinbaren, Regeln visualisieren, Reflexionsmöglichkeiten und Einsicht bei Regelverstößen erwarten oder fördern, usw.).

 

Seelsorge und religiöse Begleitung

Menschen mit Assistenzbedarf haben das Recht zur Ausübung ihrer Religion. Dazu benötigen sie Unterstützung, ganz individuell und an ihrem Hilfebedarf orientiert sowie selbstverständlich entsprechend ihrer religiösen Ausrichtung. Die Mitarbeitenden der Behindertenhilfe haben begleitende und vermittelnde Aufgaben, wenn die Klientin oder der Klient Kontakt zu seiner persönlichen Religionsgemeinschaft sucht. Die Behindertenhilfe hat das Thema Seelsorge fest verankert.
Unterstützung finden Mitarbeitende hier:

  • Im Konzept „Seelsorgliche Begleitung von Menschen mit Behinderung“ in der Behindertenhilfe wurde die Bedeutung einer seelsorglichen Grundhaltung eines jeden Mitarbeitenden festgeschrieben.
  • Der Arbeitskreis „Gemeindeintegration und Ehrenamt“ des Qualitätsmanagements schafft Kooperationen in den Sozialraum hinein.
  • Der Arbeitskreis „Religiöse Begleitung von Menschen mit Behinderung in der Behindertenhilfe“ schult Multiplikatoren in religiösen Wissensgebieten.
  • Der Prozess Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung bietet den Mitarbeitenden eine praktische Arbeitshilfe.
  • Im Fortbildungskatalog finden sich themenbezogene Angebote.
  • Die Behindertenhilfe führt für ihre Mitarbeitenden jährlich dreitägige Einkehrtage mit dem Titel „Der Tritt aus dem Trott“ durch.
  • Das Ethikkomitee der St. Augustinus Gruppe beschäftigt sich intensiv mit den Sorgen und Ängsten von schwer kranken und sterbenden Menschen. Es entstanden im Prozessverlauf die Broschüre „Sterbe- und Trauerkultur“ (mit Empfehlungen zur Gestaltung in den Einrichtungen der St. Augustinus Gruppe) und die Broschüre „Vertrauen und Würde“ (mit Empfehlungen zur Vorsorge in Gesundheitsfragen und vorausschauender Behandlungsplanung).

(Siehe auch: Konzept Seelsorgliche Begleitung von Menschen mit Behinderung)

 

Sexualpädagogik

Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Teilhabe an der Gesellschaft sollten nicht nur Fragen nach Wohnform, Arbeit und Beschäftigung, Freizeitgestaltung, Gesundheit usw. umfassen, sondern auch Partnerschaft und Sexualität. Im Kontext der Behindertenhilfe ist damit weit mehr gemeint als die Beachtung der Privatsphäre, intime Momente mit dem Partner oder sexuelle Bildung und Aufklärung. Es sollte auch Beratung und Unterstützung zur Entwicklung von Wünschen und sexueller Identität beinhalten sowie eine Lebensplanung, die neben Partnerschaft auch Ehe und Kinderwunsch thematisiert. Dabei ist stets der Schutz vor Übergriffen und sexualisierter Gewalt zu beachten. Um eine Orientierungshilfe in diesem Thema zu bieten, hat sich eine Arbeitsgruppe mit zahlreichen sexualpädagogischen Fragen beschäftigt. Weitere Informationen finden Sie im Sexualpädagogischen Konzept der Behindertenhilfe der St. Augustinus Gruppe.

 

Umgang mit sozialen Netzwerken

Soziale Medien und Netzwerke bergen Risiken wie die unreflektierte Preisgabe persönlicher Informationen, aber auch Chancen des direkten und schnellen Austausches. Die Grenze zwischen Privatsphäre und beruflicher Tätigkeit wird fließend. Nicht nur wenn es in der Kommunikation direkt oder indirekt um die eigene Arbeit geht, sind ein verantwortungsvolles Handeln sowie sachliche und respektvolle Formulierungen geboten, weil Privatsphäre und Datenschutz, aber auch die öffentliche Wirkung der von uns begleiteten Menschen betroffen sein können. Neben dem reflektierten eigenen Auftreten in sozialen Netzwerken stehen Mitarbeitende immer wieder vor der Aufgabe, die Klientinnen und Klienten bei der Nutzung sozialer Medien zu begleiten und entsprechend aufzuklären.
(Siehe auch: Institutionelles Schutzkonzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Kodex Regel 2 „Wir schützen die Privatsphäre“. Darüber hinaus: Abschnitte „Datenschutz“ und „Privatsphäre“ im vorliegenden Dokument.)